VERBAND DER PARLAMENTS- UND VERHANDLUNGSSTENOGRAFEN E.V.

aus: NStPr 60/3 (2012) 65–74 und 61/3 (2013) 70–79


Einführung

Sprache ist ein dem Menschen eigenes Mittel der Kommunikation. Sie dient der Verständigung über Gedanken, Ideen und Erlebtes, dem Austausch von Informationen sowie dem Festhalten von Wissen. Beim Sprechen möchten wir von anderen verstanden werden. Daher bemühen wir uns, unsere Gedanken einfach zu formulieren, sie kurz und prägnant darzustellen und sie klar zu ordnen. Außerdem setzen wir unsere Stimme ein: Wir heben und senken sie, wir betonen einzelne Wörter. Wir wechseln von langsamem in schnelles Sprechen, von leisem in lautes Sprechen. Und wir machen gezielt Pausen. Diese stimmlichen und sprachlichen Mittel werden durch unsere Mimik und Gestik unterstützt.

Wenn wir sprechen, dann ohne Punkt und Komma – im wahrsten Sinne des Wortes. Beim Schreiben dagegen entscheiden Punkt und Komma über den Sinn einer Aussage. Hierzu eine kleine, wenn auch historisch nicht verbürgte Geschichte: Vor langer, langer Zeit begab es sich, dass ein Bösewicht hingerichtet werden sollte. Kurz zuvor wurde nach dem König geschickt, ob er ihn begnadigen wolle. Ein Bote kam vom König mit folgender Botschaft zurück: „Ich komme nicht köpfen." Alle fragten sich: Was könnte der König gemeint haben? Etwa: „Ich komme, nicht köpfen"? Oder womöglich das Gegenteil? Nämlich: „Ich komme nicht, köpfen"?

Auch wenn nicht jedes Satzzeichen über Leben und Tod entscheidet, dient die Zeichensetzung in jedem Fall der Gliederung von Sätzen und Texten. Sie erleichtert dem Leser die schnelle Orientierung und somit das Verstehen von Texten. Beide, Schreiber und Leser, machen sich mit dem in ihrer Sprachgemeinschaft geltenden Regelwerk zur Zeichensetzung vertraut und verfügen über das nötige Gespür für die Gestaltungsräume der Zeichensetzung.


1. Teil: Zeitreise durch die Geschichte der Zeichensetzung

 

Ein Blick in die Geschichte der Zeichensetzung veranschaulicht uns den Entwicklungsprozess von den ersten Punkten und Strichen in einem Text bis zu dem modernen Interpunktionssystem des Deutschen. Dieser Prozess ist nicht etwa geradlinig verlaufen, sondern vielschichtig und regional sehr unterschiedlich. Er vollzog sich langsam und erstreckte sich über drei Jahrtausende. Die grafische Form der Satzzeichen, ihre Benennung, ihre Verwendung und ihre Abgrenzung zueinander unterlagen einem ständigen Wandel. Und dieser Entwicklungsprozess setzt sich bis heute fort.

Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise, die uns vom Heiligen Land vor 3 000 Jahren zu griechischen und römischen Schreibern, in die Scriptorien mittelalterlicher Klöster, nach Mainz zum Buchdrucker Johannes Gutenberg, nach Wittenberg zu Martin Luther, zu den deutschen Grammatikern und schließlich nach Hersfeld zu Konrad Duden führt. Wir werden erleben, wie das älteste und kleinste Zeichen, der Punkt, entstand, warum das heutige Fragezeichen so und nicht anders aussieht und welche neuen Satzzeichen erfunden werden.

1. Die Schriftkultur der Antike

Aufgrund von Funden weiß man, dass die Schriftlichkeit der antiken Kultur um 3 500 v. Chr. anzusiedeln ist. Texte wurden in Stein gemeißelt, in Holz und in Wachstafeln geritzt, auf Palmblätter und Seide gemalt oder auf kostbarem Papyrus und Pergament sowie später auf Papier geschrieben, und zwar Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort. Die Bezeichnung für diese Schreibweise ohne Abstände lautet Scriptura continua. Sie ahmt den natürlichen Sprachfluss nach und ist in griechischen und lateinischen Texten noch bis in die Spätantike und im Frühmittelalter zu finden. Parallel zu der Scriptura continua entwickelte sich ein anderes Verständnis der geschriebenen Sprache: Zeichen wurden entwickelt, die einzelne Wörter und Sätze voneinander trennen. Das älteste Zeugnis dieser Veränderung stammt aus dem 9. Jahrhundert v. Chr.

Eine nach dem König Mescha von Moab benannte Stele berichtet in 34 Zeilen von seinem Sieg über Israel. Diese Mescha‑Stele ist deshalb so bedeutsam, weil hier zum ersten Mal Satzzeichen verwendet werden: Zwischen allen Wörtern wurde ein Punkt auf halber Höhe gemeißelt, und zwischen allen Sätzen befindet sich ein waagerechter Strich. Damit war der Punkt als grafisches Zeichen erfunden, wurde aber noch nicht in seiner heutigen Funktion als Satzschlusszeichen verwendet, sondern als Worttrenner. Und es sollte uns nicht wundern, dass exakt dieser Punkt zwischen den Wörtern auf halber Höhe in den Textverarbeitungsprogrammen noch heute den Leerschritt verdeutlicht und so die Wörter voneinander trennt.

Auch die alten Griechen kannten den Punkt – allerdings nicht als Worttrenner, sondern um Pausen zu markieren. Den Punkt gab es in drei Varianten: unten auf der Zeile, um eine kleine Pause anzudeuten, in der Mitte, um eine etwas längere Pause zu markieren, und als Hochpunkt, um das Ende eines Satzes zu verdeutlichen. In einem anderen System wurden ein Punkt, zwei Punkte bzw. drei Punkte für unterschiedlich lange Pausen verwendet. Diese Systeme wurden allerdings noch nicht beim Schreiben des Textes eingefügt, sondern erst zur Vorbereitung auf das Vorlesen bzw. Vortragen. Dazu wurden die Pausenpunkte in die Scriptura continua hineingeschrieben. Diese Punkte waren also Vorlesezeichen. Sie folgten vorrangig dem Sprechrhythmus und der Betonung. Die Satzzeichen hatten, anders ausgedrückt, eine rhetorische Funktion.

Die Errungenschaft der Griechen besteht neben der Erfindung des Punktes als Pausenmarkierung darin, Begrifflichkeiten zu prägen, die von den Römern übernommen werden. So führten die Griechen Wörter wie „Kolon" und „Komma" ein, um einen Satz bzw. Satzteile zu benennen. Diese Begriffe bezeichneten also noch nicht das jeweilige Satzzeichen selbst, sondern lediglich syntaktische Sinnabschnitte. Das Wort „Komma" wurde zu Beginn der Neuzeit auf das Zeichen angewandt, das Sinnabschnitte innerhalb eines Satzes voneinander trennt. Die deutsche Bezeichnung „Doppelpunkt" für das Kolon tritt dagegen erst im 17. Jahrhundert auf.

Von den Römern stammt das Wort „Punkt". „Punctum" bedeutet im Lateinischen „das Gestochene". Es rührt daher, dass die Römer, wenn sie auf Wachstafeln schrieben, das Ende eines Satzes durch einen Einstich mit dem Griffel markierten. Das Wort „punctum" diente auch als Bezeichnung im übertragenen Sinn für einen Abschnitt, so wie wir heute eine Rede oder Tagesordnung in Punkte gliedern. Das deutsche Wort „Interpunktion" leitet sich von lateinisch „interpunctio" ab. „Interpunktion" heißt also, durch einen Punkt abzuteilen. Im Deutschen wird das Wort „Zeichensetzung" erst im 18. Jahrhundert gebräuchlich. Seitdem werden beide Begriffe gleichbedeutend verwendet.

Vergegenwärtigt man sich die Entwicklung der Satzzeichen und ihrer Funktion in der Antike, kristallisieren sich einige bestimmende Faktoren heraus: Dazu gehört das Verständnis von Sprache als einer Lautkette, deren einzelne Einheiten voneinander abgetrennt wurden. Für diese Markierung wurden grafische Zeichen entwickelt: Zur Trennung von Sätzen wurde zunächst der waagerechte Strich, später der Punkt verwendet. Das Erkennen eines Satzes schloss seine Untergliederung und seine Benennung dieser Einheiten ein: Komma und Kolon. Darüber hinaus wurden die einzelnen Einheiten in Beziehung zueinander gesetzt. Das heißt, es entstand schon ganz am Anfang der Entwicklung der einzelnen Satzzeichen ein System. Außerdem wandelte sich die Funktion einer grafischen Form wie der des Punktes vom Worttrenner über den Pausenmarkierer zum Satzschlusszeichen. Wie geht es nun weiter auf der nächsten Zwischenstation unserer Zeitreise?

2. Die Manuskriptkultur im Mittelalter

Die antiken oralen Kulturen wurden allmählich durch die bis ins Mittelalter reichende Manuskriptkultur abgelöst. Da im Mittelalter jedes Buch einzeln abgeschrieben werden musste – von einem oder mehreren Schreibern –, wurden auch die Satzzeichen im Text individuell verwendet. Nach der frühen Christianisierung Irlands im 5. Jahrhundert n. Chr. schrieben irische Mönche in den Scriptorien der Klöster lateinische Texte ab. Weil Latein für diesen Kulturkreis allerdings eine Fremdsprache war, versuchten die Schreiber, den Lesern das Verstehen und Vorlesen eines liturgischen Textes in lateinischer Sprache zu erleichtern. Zu diesem Zweck fügten sie Wortzwischenräume ein und benutzten Satzzeichen. Die Angelsachsen übernahmen die irischen Prinzipien von Wortzwischenräumen und Zeichensetzung, und durch die Berufung des Gelehrten Alcuin von York an den Hof Karls des Großen in Frankreich setzte sich diese Reform der Schriftkultur auch auf dem europäischen Festland durch.

Diese neue Schreibweise erleichterte nicht nur das laute Vorlesen, sondern förderte ganz erheblich das leise, vor sich selbst hingesprochene Lesen bzw. das stille Lesen. Das Buch wurde in dieser Zeit mehr und mehr als ein eigenes und wichtiges Medium verstanden, das auch der Wissensvermittlung dient. Nach Isidor von Sevilla, Bischof und einer der einflussreichsten Gelehrten des Frühmittelalters, ermöglicht gerade das stille Lesen eine intensivere Reflexion des Gelesenen. Und je mehr still gelesen wurde, desto komplexer konnten die Sätze eines Textes gestaltet werden. Denn wer einen Gedanken nicht verstanden hatte, konnte den Satz noch einmal lesen. Seiner Meinung nach kommt es also darauf an, mithilfe der Zeichensetzung das Schriftbild komplexer werdender Sätze und Texte zu strukturieren. Das heißt, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Art und Weise des Lesens und der Zeichensetzung. Das Lesen hat sich über die Jahrtausende gewandelt – von einem lauten Lesen bis vor circa 1 200 Jahren hin zu einem lautlosen Lesen. Dieses lautlose Lesen wird gefördert durch Wortzwischenräume und eine verlässliche Zeichensetzung, die grammatisch bzw. syntaktisch Zusammengehörendes zusammenfügt. Damit hat sich die Funktion der Zeichensetzung gewandelt: zunächst von einer rhetorischen Verwendung in der Spätantike hin zu einer grammatischen Verwendung im Mittelalter. Aus den Vorlesezeichen wurden so Lesezeichen.

Trotz dieser Entwicklungen kennt das Mittelalter immer noch nur wenige Satzzeichen – Punkt, Komma, Kolon und Semikolon sowie das Fragezeichen –, die außerdem ohne verbindliche Regeln verwendet und im freien Ermessen der Schreiber gestaltet und eingesetzt wurden. Dies verändert sich erst durch eine technische Revolution: durch den Buchdruck.

3. Die typografische Kultur des Buchdrucks

Um 1450 erfand Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Metalllettern und die Druckerpresse. Einher ging damit die Verbreitung der Papierherstellung in Europa. Durch beide Entwicklungen wurden Bücher und Zeitungen in bis dahin nicht gekannten Auflagen verbreitet. Die Buchdrucker konnten allerdings den in den Manuskripten vorgefundenen Formenreichtum der verwendeten Satzzeichen im Bleisatz nicht immer umsetzen; denn der Bleisatz verlangt ein einheitliches Erscheinungsbild. Außerdem gab es zu Beginn des Buchdrucks nur wenige Hersteller von Drucklettern, sodass ihre vereinheitlichten Lettern einen großen Wirkungskreis hatten. Auf diese Weise stabilisierte sich die Form der Satzzeichen; für jedes Zeichen gab es also nur noch eine grafische Form.

Dies kann an der Entwicklung des Fragezeichens besonders anschaulich gemacht werden. Eine der Entstehungsgeschichten des Fragezeichens besagt, dass es aus dem gregorianischen Kirchengesang entstanden ist. Das dort verwendete Zeichen stand für ansteigende Melodieschlüsse und ahmte die steigende Stimmführung nach, die ihrerseits die Armführung des Chorleiters widerspiegelt. Dieses Zeichen wurde in Texten eingesetzt, um die steigende Stimmführung am Ende einer Frage zu markieren. In mittelalterlichen Handschriften ist das Fragezeichen oftmals als ein Punkt mit einer Tilde dargestellt. Um beim Buchdruck Platz zu sparen, wurde die Tilde nicht mehr hinter den Punkt gesetzt, sondern aufrecht über den Punkt und als „punctus interrogativus" bezeichnet. Daraus leitet sich die amerikanische Bezeichnung „question point" ab. Das deutsche Wort „Fragezeichen" ist erst für das 16. Jahrhundert belegt.

Auch einzelne Drucker spielten bei der Entwicklung der Satzzeichen eine große Rolle. Zu nennen ist William Caxton, erster Buchdrucker in England. Er entwickelte 1474 in seinen Druckwerken ein System bestehend aus drei Satzzeichen: aus der Virgel, einem Schrägstrich, um Wortgruppen abzutrennen, woraus sich später das moderne Komma entwickelte; aus dem Doppelpunkt, um Pausen zu verdeutlichen; aus dem Punkt, um das Satzende zu markieren. Hervorgehoben sei auch der venezianische Drucker Aldus Manutius d. Ä. Er ist der Erfinder der kursiven Schrift, im Englischen als Italics bezeichnet. Er druckte in den Veröffentlichungen seiner Druckerei das erste Semikolon. Sein Enkel Aldus Manutius d. J. legte 1566 ein System von Satzzeichen vor, konsequent angewandt in der Antiqua, dem Schriftsatz für lateinische Texte. Beide hatten ein vertieftes Verständnis von den Satzzeichen als syntaktische Gliederungszeichen und verwendeten Punkt, Komma, Doppelpunkt, Semikolon und Fragezeichen systematisch und einheitlich. Ihre Zeichensetzung war beispielgebend, und die heutige Interpunktion geht im Wesentlichen auf ihre Vorstellungen zurück.

Neben der technischen Revolution des Buchdrucks, mit dem sich Schriftwerke leicht reproduzieren ließen, beförderten insbesondere die allmähliche Verbreitung der Lesefähigkeit in der Bevölkerung und der Verschriftlichungsschub durch eine komplexer werdende Gesellschaft eine Standardisierung und Homogenisierung der Schriftzeichen, was sich in der Verfestigung der grafischen Form der Satzzeichen und ihrer Verwendung in den Druckwerken offenbarte.

4. Die Entwicklung der deutschen Schriftsprache

Die zweite, „geistige Revolution" löste Martin Luther mit seinen Bibelübersetzungen und seiner ersten Messe in deutscher Sprache aus (25. Dezember 1521). Das Deutsche ist eine vergleichsweise junge Sprache und wird in den Quellen des frühen Mittelalters als die Sprache des Volkes bezeichnet. Erst der Buchdruck und die Reformation gaben der Volkssprache Deutsch eine größere Bedeutung und beförderten die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache. Dies wiederum hatte Auswirkungen auf die Verwendung von Satzzeichen auch in deutschsprachigen Texten. Martin Luther verwendete in seinen Schriften, wie in der Frakturschrift üblich, statt des Kommas die Virgel. Die grafische Form der Virgel entspricht unserem Schrägstrich und verschwand in ihrer Verwendung als Komma aus dem Fraktursatz etwa um 1700 endgültig. Sie wurde durch den Beistrich ersetzt, den schon Aldus Manutius d. Ä. in der Antiqua verwendete.

Im Zuge dieser Entwicklung von einer Volkssprache hin zu einer Schriftsprache wird die Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache immer intensiver. Sogenannte Grammatiker veröffentlichten Regelwerke zur deutschen Grammatik und Rechtschreibung, in denen ebenfalls die Verwendung der Satzzeichen beschrieben wird. Darin weisen sie den Satzzeichen verstärkt die Rolle zu, Texte syntaktisch‑grammatikalisch zu gliedern. Die ersten Versuche, die Anwendung von Satzzeichen im Deutschen zu systematisieren, reichen ins 15. und 16. Jahrhundert zurück. So stellte beispielsweise Niklas von Wyle, Stadtschreiber in Esslingen, Regeln für die Zeichensetzung auf. Diese Anweisungen wurden von den Druckern jedoch zumeist ignoriert und fanden daher keine Verbreitung.

Eine tatsächliche Kodifizierung der Regeln erfolgte erst im 17. Jahrhundert, parallel zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht im deutschen Sprachraum. Damit einher ging ein großer Bedarf an Sprachlehren für den Einsatz im Deutschunterricht. Grammatische Lehrbücher, die auch Rechtschreibung und Zeichensetzung umfassten, unter anderem von Georg Schottel (1663: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache), von Johann Christoph Gottsched (1748) und Johann Christoph Adelung (1788), erschienen. Durch die große Verbreitung der Schulgrammatiken, unter anderem der von Johann Christoph August Heyse (1814, 25. Auflage 1893), wurde dieser Prozess der allmählich einheitlichen Verwendung der Satzzeichen, wie wir sie heute kennen, beschleunigt. Seinen Höhepunkt erreicht diese Entwicklung Ende des 19. Jahrhunderts durch die Arbeiten von Konrad Duden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch die übrigen heute verwendeten Satz- und Wortzeichen herausgebildet: Die Klammern sind seit dem 15. Jahrhundert bekannt, das Ausrufezeichen taucht erstmals im 16. Jahrhundert auf, der Gedankenstrich wird in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederentdeckt, und die Anführungszeichen gibt es seit dem 18. Jahrhundert.

5. Die Entstehung des modernen Interpunktionssystems in Deutschland

Zwei Triebkräfte wirkten am Ende des 19. Jahrhunderts zusammen, um eine verbindliche einheitliche Rechtschreibnorm der deutschen Sprache zu schaffen. Zum einen verfolgte der Gymnasiallehrer und spätere Direktor des Königlichen Gymnasiums zu Hersfeld, Konrad Duden, sozialpädagogische Ziele. Er wollte seinen Schülerinnen und Schülern das Erlernen des Lesens und Schreibens erleichtern. In einem ersten Anlauf verfasste er 1876 den „Versuch einer deutschen Interpunktionslehre". Das kurz darauf, 1880, veröffentlichte „Vollständige Orthographische Wörterbuch" gilt als der Urduden, der allerdings die Regeln zur Zeichensetzung noch nicht enthielt. Zum anderen gab es seit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 verstärkte Anstrengungen der Regierung, die Rechtschreibung im Schulwesen zu vereinheitlichen, um so die politische Einheit zu flankieren. Dies gipfelte in den 1902 auf der ersten Rechtschreibkonferenz beschlossenen „Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterbuch" für alle Bundesstaaten des Deutschen Reiches, Österreich‑Ungarn und die Schweiz, ebenfalls noch ohne Regeln zur Zeichensetzung. Dieser Arbeit von Konrad Duden folgte schon ein Jahr später, 1903, der sogenannte Buchdruckerduden, der zum ersten Mal die Zeichensetzung beinhaltet. Diese Darstellung wurde in der 9. Auflage des „Rechtschreibdudens" von 1915 übernommen und in den Folgeauflagen des Dudens jeweils verfeinert.

Erst in der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die 1996 ihren Anfang nahm und seit dem 1. August 2006 in Schulen und Behörden gilt, wurden die Regeln zur Zeichensetzung als gleichberechtigter Teil aufgenommen. Seitdem sind Punkt, Komma & Co. in Kapitel E fester Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung. Sie beinhaltet die Bestimmung der äußeren Form der Satzzeichen, die Festlegung der Anwendung sowie kurze Begründungen der Regeln. Vor allem die Kommasetzung wurde verändert. Der „Urmeter" der deutschen Rechtschreibung einschließlich Zeichensetzung findet sich seitdem in dem Werk „Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Amtliche Regelung", 2006 herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung.

Auch wenn wir das moderne Interpunktionssystem des Deutschen mit seinen Satzzeichen und Wortzeichen für perfekt halten mögen, schaffen kreative Geister Neuschöpfungen, um ihre Gedanken noch besser transportieren zu können. Zu einer solchen Neuschöpfung gehört das Interrobang. Das Wort „Interrobang" setzt sich zusammen aus dem Begriff „interrogatio", der lateinischen Bezeichnung für „Frage", sowie dem Begriff „bang", der unter englischen Druckern informell für das Ausrufezeichen verwendet wird. Und damit erklärt sich auch schon die grafische Form: ein Punkt, über dem ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen miteinander verschmolzen sind: ‽. Dieses Zeichen wurde von einer amerikanischen Werbeagentur 1962 entworfen, kam vor allem in den 70er‑Jahren in Mode und ist in vielen gut ausgebauten Schriften zu finden. Im deutschsprachigen Raum wird es allerdings kaum verwendet. Liest man „Interrobang" rückwärts, ergibt sich „Gnaborretni". Dieses Zeichen ist ein auf den Kopf gestelltes Interrobang, ausschließlich im Spanischen, Asturischen und Galizischen zu finden und setzt eine besondere Tradition fort. Die Spanische Akademie ratifizierte 1754 den Vorschlag, eine Frage mit einem auf dem Kopf gestellten Fragezeichen einzuleiten und mit dem üblichen Fragezeichen zu schließen. Diese Regel gilt noch heute fort und wird ebenso auf das Interrobang bzw. Gnaborretni angewandt.

Zu den Neuschöpfungen im elektronischen Zeitalter zählen die so beliebten Emoticons, die wir in E‑Mails und Blogs verwenden und die ihre ganz eigenen Regeln haben:-). Sie versuchen, etwas wettzumachen, was Schrift, Buchstaben, Satz- und Wortzeichen nicht oder kaum transportieren können: Gefühle. Insofern erweitern sie unsere schriftlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Ob sie sich allerdings auch außerhalb des elektronischen informellen Schriftverkehrs durchsetzen werden, bleibt offen.

Ausblick

Am Ende unserer Zeitreise durch die Geschichte der Zeichensetzung angekommen, stehen wir in einem dichten Wald voller Satzzeichen. Punkte, Kommas, Doppelpunkte, Fragezeichen, Semikola, Klammern, Ausrufezeichen, Gedankenstriche und Anführungszeichen umzingeln uns. Plötzlich erscheint auf einer kleinen Lichtung eine gute Fee. Und sie spricht den magischen Satz aus: „Ihr habt drei Wünsche frei." Wir reiben uns verwundert die Augen und können unser Glück kaum fassen. „Was wünscht Ihr Euch in Sachen Zeichensetzung?" Und so sehen unsere drei Wünsche aus: Erstens. Mögen die Regeln der Zeichensetzung immer korrekt umgesetzt werden. Zweitens. Mögen die Varianten immer einheitlich verwendet werden. Und drittens. Mögen die Gestaltungsräume mit dem nötigen Fingerspitzengefühl genutzt werden. Gesagt, getan! Mit einer kleinen Bewegung ihres Zauberstabes lässt die gute Fee unsere Wünsche Wirklichkeit werden.

Falls dies nur ein Traum gewesen sein sollte und uns wider Erwarten keine gute Fee begegnen sollte, tut sich vor uns eine andere Lichtung auf. Dort liegt ein kleines Buch, das so neu ist, dass es blitzt und blinkt: „Punkt, Komma und alle anderen Satzzeichen". Einmal in die Hand genommen, wird dieses Büchlein zur guten Fee der Zeichensetzung. Punkt, Schluss und Streusand drüber!


2. Teil: Streifzug durch die Jetzt-Zeit

Die Zeitreise durch die Geschichte der Zeichensetzung im ers­ten Teil dieses Beitrags umfasste über 3 000 Jahre: von den ersten gemeißelten Punkten und Strichen auf der Mescha-Stele im Heiligen Land bis zu den Emoticons der globalen elektroni­schen Kommunikation. Diese Zeitreise veranschaulichte, wie komfortabel Schreiben und Lesen heutzutage sind. Denn das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen folgt einer verbindlichen Norm: Es verfügt über ein festes Inventar an Zei­chen, die grafische Gestalt der Zeichen und ihre Benennung sind festgelegt, und ihre Verwendung im Text ist geregelt. Doch trotz aller Normierung eröffnet das Regelwerk auch Gestaltungs­räume, die eine nuancierte und differenzierte Dar­stellung von Gedanken und Ideen in der geschriebenen Spra­che erlauben.

Folgen Sie mir nun auf einen Streifzug durch die Jetzt-Zeit. Da­bei gehen wir den Fragen nach, wie sich die Zeichensetzung in der Sprache widerspiegelt, wie das heutige Inventar der Zeichen­setzung beschaffen und normiert ist, welche vielfältigen Funktionen die Zeichensetzung erfüllt und welche Konse­quenzen dies für die Praxis des Textverfassens hat.

1. Die Zeichensetzung im Spiegel der Sprache

Die Zeichensetzung hat auf vielfältige Art Eingang in unsere Sprache und Kommunikation gefunden. So sagen wir: „Nun mach aber mal 'nen Punkt!" Und meinen: „Stopp! Bis hierhin und nicht weiter!" Oder wir sagen: „Du stehst da wie ein Frage­zeichen!" Und wir meinen damit: „Stell Dich endlich gerade hin! Mach nicht immer so einen Buckel!" Wir sagen auch: „Du redest heute wieder ohne Punkt und Komma!" Eigentlich meinen wir aber: „Geht's auch langsamer? Darf ich auch mal was sagen?"

Satzzeichen treten nicht nur in Redewendungen auf, sondern auch in dem uns allen bekannten Kinderreim: „Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht."

Redner artikulieren Satzzeichen, um ihren Aussagen schon beim Sprechen besonderen Nachdruck zu verleihen. Sie sagen: „Was wahr ist, ist wahr – Punkt." Sie formulieren auch: „Dieser Aspekt ist uns besonders wichtig – Ausrufezeichen." Oder es heißt: „Hinter diese Frage setze ich etliche Fragezeichen." Man kann hinter seine Frage stattdessen auch ein großes oder sogar ein dickes Fragezeichen setzen. Zu hören ist auch die Auf­forde­rung „Klammer auf", ihr folgt allerdings selten die Wendung „Klammer zu". Manchmal versagt die Sprache vollends: Statt die wunderschönen Wörter „Hasenöhrchen" oder „Gänse­füßchen" zu verwenden, werden die Anführungszeichen gestenreich in die Luft gemalt.

Schriftsteller verzichten in ihren Werken zuweilen ganz auf die Zeichensetzung, wie beispielsweise James Joyce in dem letzten Kapitel seines „Ulysses". Den inneren Monolog Molly Blooms gestaltet der irische Autor ohne jegliches Satzzeichen, was zwar die ohnehin anspruchsvolle Lektüre zusätzlich erschwert, das Mäandern des Gedankenstroms aber besonders anschaulich macht. – Der französische Schriftsteller Victor Hugo hingegen kommunizierte mit seinem Verleger per Telegramm ausschließ­lich mithilfe von Satzzeichen: Um die Verkaufszahlen seines Romans „Les Misérables" in Erfahrung zu bringen, telegrafierte er ein Fragezeichen, worauf ihm sein Verleger mit einem telegrafier­ten Ausrufezeichen antwortete (Truss, S. 117).

Auch die Wissenschaft nimmt die Zeichensetzung nicht mehr nur als Hintergrundphänomen, als in der Peripherie der Sprache befindlich wahr (O'Connell/Kowal, S. 80). Dabei stehen zwei Fragen im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung: zum ei­nen die Frage nach der historischen Entwicklung der Zeichen­setzung insgesamt und der einzelner Satzzeichen, zum anderen die Frage nach den Funktionen der einzelnen Satzzeichen und ihrer Bedeutung für das Lesen.

Die Sprache selbst, die Ausführungen von Literaten und auch die Wissenschaft legen Zeugnis davon ab, dass die Zeichen­setzung ein wichtiges Instrumentarium der Kommunikation zwi­schen Schreibenden und Lesenden ist. Die Zeichensetzung ist heute selbstverständlicher Teil der geschriebenen Sprache. Durch sie wird das rasche und eindeutige Verstehen von Texten erleichtert, wenn nicht gar erst möglich gemacht.

2. Das moderne Zeichensetzungssystem des Deutschen

Unter Zeichensetzung verstehen wir heute ein System grafi­scher Elemente, die der Gliederung im Satzinneren und zwi­schen Sätzen dienen. Wenden wir uns zunächst der Frage zu, welchen Stellenwert dieses System im geschriebenen Deutsch hat.

Unsere Schrift umfasst zwei Arten von Schriftzeichen: die alpha­betischen und die nicht alphabetischen Schriftzeichen. Unter die alphabetischen Schriftzeichen fallen die Buchstaben, und zwar sowohl die Klein- als auch die Großbuchstaben. Zur Gruppe der nicht alphabetischen Schriftzeichen gehören unter anderem: die arabischen und römischen Ziffern, die sogenannten informations­tragenden Sonderzeichen, wie zum Beispiel €, @, %, &, und mathematische Symbole sowie – last, but not least – die Zeichensetzung. All diese nicht alphabetischen Sonder­zeichen werden beim (lauten) Lesen verbalisiert. Wir formu­lieren also „Euro", „at", „Prozent" sowie „und". Bei den Satz­zeichen verhält es sich anders. Diese werden nicht verbalisiert; wir geben sie vielmehr durch die prosodische Gestaltung beim (lauten) Lesen wieder: durch Pausen, Betonungen, Rhythmus, Stimmführung usw.

Die Zeichensetzung ist also ein nicht alphabetisches System. Sie umfasst ein klar umrissenes Inventar von Zeichen: sowohl Satzzeichen als auch Wortzeichen. Satzzeichen markieren Sinnabschnitte und syntaktische Einheiten sowie Aspekte der Prosodie und können der stilistischen Gestaltung dienen. Wort­zeichen verdeutlichen dagegen morphemische Strukturen auf der Ebene der Wortbildung. Das im Folgenden dargestellte Inven­tar umfasst alle Zeichen, deren Anwendung im Amtlichen Regelwerk normiert ist; darüber hinaus gibt es weitere Zeichen (Bredel, S. 23/24), die in diesem Beitrag nicht behandelt wer­den.

Zu den Satzzeichen zählen zur Kennzeichnung des Satz­schlusses der Punkt, das Ausrufezeichen und das Frage­zeichen; zur Gliederung innerhalb von Sätzen das Komma, das Semikolon, der Doppelpunkt, der Gedankenstrich und die Klammern; und schließlich zur Anführung von Äußerungen oder Textstellen bzw. zur Hervorhebung von Wörtern oder Text­stellen die Anführungszeichen.

Zu den Wortzeichen gehören der Punkt nach Abkürzungen und nach Ordinalzahlen sowie zur Gliederung bei Ziffernschreibung und Datumsangaben, der Doppelpunkt als Verhältniszeichen zwischen Ziffern, der Schrägstrich, der Apostroph, der Binde­strich, der Ergänzungsstrich, der Trennstrich sowie zur Aus­lassung von Buchstaben und Wörtern die Auslassungspunkte.

Neben den Zeichen, die auf der Wort- oder der Satzebene ver­wen­det werden, kommt der Gedankenstrich auch auf der tex­tuellen Ebene vor. So kann zwischen Sätzen, die durch einen Punkt voneinander abgetrennt werden, der Gedanken­strich verwendet werden, beispielsweise um eine Pause zu markieren oder um das Absatzzeichen zu ersetzen.

Es gibt im Deutschen sogenannte paarige Satzzeichen wie die Anführungszeichen und die Klammern, Satzzeichen wie Komma und Gedankenstrich, die je nach Kontext paarig auftreten kön­nen, sowie solche Satzzeichen, die immer einfach verwendet werden wie Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Semikolon und Doppelpunkt.

3. Normierung und Gestaltungsräume der Zeichen­setzung

Die Verwendung der Satzzeichen unterliegt im Deutschen ei­nem Regelwerk, das seit dem 1. August 2006 in deutschen Schulen und Behörden verbindlich ist. Dieses Regelwerk fußt auf einer 130‑jährigen Entwicklung der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung und damit auch der Zeichen­setzung. Denn schon 1876 verfasste Konrad Duden den „Ver­such einer deutschen Interpunktionslehre". Diese und folgende Bestrebungen mündeten 130 Jahre später in Teil E der Amt­lichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.

Wer noch die 24. Auflage des Rechtschreibdudens besitzt, fin­det den Text des Regelwerks im Anhang, S. 1161–1216. Wer die 25. Auflage in Händen hält, greife auf das alphabetische Verzeichnis zu Rechtschreibung und Zeichensetzung, S. 25– 98, zurück. In Buchform liegt das Regelwerk ebenso vor, und zwar 2006 herausgegeben vom Rat für deutsche Recht­schrei­bung. Das Regelwerk ist auch über die Internetadresse http://rechtschreibrat.ids-mannheim.de für jedermann kostenfrei einsehbar und kann dort heruntergeladen werden.

Eine wertvolle Fundgrube ist darüber hinaus das 2011 neu aufge­legte Duden-Taschenbuch „Komma, Punkt und alle ande­ren Satzzeichen", das neben dem Regelteil und einem Register zum schnellen Nachschlagen eine Tabelle mit alphabetisch geord­ne­ten Konjunktionen von „aber" bis „zumal" zur Komma­setzung enthält. Henning van de Loo hat unter der Überschrift: „,Kommt da eigentlich ein Komma hin?' – Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichensetzung" eine Be­sprechung in der „Neuen Stenografischen Praxis" zu einer vorhe­rigen Auflage verfasst. Wer seine Kenntnisse der Zeichen­setzung einer Prüfung unterziehen möchte, greife zurück auf das Lehr- und Übungsbuch „So schreibt man jetzt!" des Duden­verlages.

Dank der Rechtschreibreform ist die Zeichensetzung seit 2006 also offizieller Teil der Rechtschreibung; wir verfügen daher über Regeln für die Anwendung der einzelnen Satzzeichen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Mussregeln und um eini­ge Kannregeln. Zu den Letztgenannten gehört beispiels­weise die Kommasetzung bei Hauptsätzen, die mit „und" bzw. „oder" verbunden werden. Hier kann ein Komma gesetzt werden, muss aber nicht. Diese und andere Kannregeln führen zwar dazu, dass weniger Fehler gemacht werden, aber sie erschweren die Einheitlichkeit der Zeichensetzung innerhalb eines – vor allem längeren – Textes, an dem gegebenenfalls sogar mehrere Verfasse­rinnen und Verfasser beteiligt sind.

Darüber hinaus legt das Regelwerk fest, in welcher Weise die einzelnen Satzzeichen miteinander kombiniert werden können, zum Beispiel das Frage- und das Ausrufezeichen oder der Gedanken­strich und das Komma. Schlussendlich verweist das Regelwerk auf Möglichkeiten für die alternative Verwendung von Satzzeichen, insbesondere im Satzinneren, beispielsweise Semikolon statt Punkt bzw. Komma oder Gedankenstriche statt Kommas, um eine Parenthese darzustellen.

Wir müssen uns trotzdem deutlich vor Augen führen: Auch wenn die Zeichensetzung nun fester Teil der Rechtschreibung ist, so kann sie „nicht mit der Strenge und Ausschließlichkeit gehandhabt werden, die den Regeln der Rechtschreibung" (Stang/Steinhauer, S. 11) zukommen. Denn die Zeichensetzung ist auch ein Mittel der stilistischen Gestaltung. Dies wird beispiels­weise bei der Verwendung des Semikolons deutlich, das eine Mittelstellung zwischen Punkt und Komma einnimmt: Es trennt stärker als ein Komma und schwächer als ein Punkt. Daher haben die Schreibenden beim Semikolon einen größeren Spielraum als bei anderen Satzzeichen.

Schon Konrad Duden hat deutlich gemacht, dass die Zeichen­setzung gewisse Freiheiten zulässt. Seine einleitenden Worte im sogenannten Buchdruckerduden von 1903 sind auch heute noch gültig:

Nicht immer lassen sich die verschiedenen Zwecke der Zeichensetzung zugleich erreichen. Zuweilen erfordert die grammatische Gliederung ein Zeichen, wo der Redende keine Pause macht, und umgekehrt. Oft kann auch der Schreibende die Satzzeichen zur feineren Schattierung des Gedankens verwenden. Aus diesen Gründen lassen sich nicht für alle Fälle unbedingt gülti­ge Regeln aufstellen; es muß vielmehr dem Schrift­steller eine gewisse Freiheit bewahrt bleiben. In der Hauptsache bestehen jedoch feste Regeln, die überall zu befolgen sind, wo der Schriftsteller nicht anders be­stimmt. (Stang/Seinhauer, S. 11)

Auch wenn die Zeichensetzung im Deutschen stärker normiert ist als in anderen europäischen Sprachen, bleibt durch das Neben­einander von Muss- und Kannregeln und durch die alterna­tiven Möglichkeiten, Satzzeichen zu verwenden, ein Gestaltungs­raum, der die Freiheit, aber auch die Verantwortung des Textverfassens begründet. Zeichensetzung ist also niemals Selbstzweck und basiert nicht auf der schablonenhaften An­wendung von Regeln. Ihre Wirksamkeit beruht vielmehr auf ih­rer funktionalen Integration in den Text und ihrer differen­zierten Verwendung.

4. Die Funktionen der Zeichensetzung

Die bildhaftesten Versuche, die Funktionen der Zeichensetzung zu beschreiben, finden sich in dem Bestseller „Eats, Shoots & Leaves" der britischen Autorin Lynne Truss. Darin stellt sie zum einen die Geschichte der Zeichensetzung und die Funktionen einzelner Satz- und Wortzeichen anschaulich dar, zum anderen erzählt sie amüsante Geschichten rund um die Zeichensetzung. Der Buchtitel spielt auf eine dieser Geschichten an, in der ein Panda die Hauptrolle einnimmt. Ohne Komma gelesen isst der Panda Sprösslinge und Blätter, mit Komma gelesen isst, schießt und verzieht er sich.

Lynne Truss präsentiert in diesem Werk eine Vielzahl von Bil­dern, um die Funktionen der Zeichensetzung deutlich zu machen. So verweist sie darauf, dass uns Punkt, Komma & Co. wie Verkehrssignale durch die geschriebene Sprache leiten: „Punctuation marks are the traffic signals of language: they tell us to slow down, notice this, take a detour, and stop." (S. 22) Zeichensetzung kann auch als Faden verstanden werden, der das Textgewebe zusammenhält (S. 22). Sie vergleicht einen Text mit einem Zug, der mithilfe des Schienensystems Zeichen­setzung in der Spur gehalten wird (S. 25). Oder: So wie die Noten den Musiker beim Spielen leiten, dirigiert die Zeichen­setzung den Leser (S. 32). Für Lynne Truss ist ein Text ohne Zeichensetzung wie ein Gemälde ohne Konturen (S. 32). Führt man den Lesenden mithilfe der Zeichensetzung zum Textsinn, wird alles klar.

In der Sprache des Regelwerks liest sich dies in den Vor­bemerkungen zur Zeichensetzung so:

Die Satzzeichen sind Grenz- und Gliederungszeichen. Sie dienen insbesondere dazu, einen geschriebenen Text übersichtlich zu gestalten und ihn dadurch für den Lesenden überschaubar zu machen. Zudem kann der Schreibende mit den Satzzeichen besondere Aussage­absichten oder Einstellungen zum Ausdruck bringen oder stilistische Wirkungen anstreben.

Anders ausgedrückt: Die Zeichensetzung dient der Meta­kommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden: Jedes Satzzeichen steuert den Lese- und damit den Verstehensprozess. Die einzelnen Satzzeichen erfüllen dabei vier Grundfunktionen: Sie transportieren Informationen über die a) inhaltlich-logischen sowie b) syntaktisch-gramma­ti­schen Bezüge, sie sind Ausdruck c) stilistischer Besonder­heiten der Schreibenden und simulieren d) prosodische Aspekte des (lauten) Lesens.

Betrachten wir dies beispielhaft am Punkt. So heißt es im Interpunktions­duden:

Der Punkt kennzeichnet das Ende eines Satzes im fortlaufenden Text. Er drückt eine längere Pause aus und deutet gewöhnlich eine Senkung der Stimme an. Der Punkt steht nach gewöhnlichen Aussagesätzen. (Stang/Steinhauer, S. 14)

Nach dieser Definition markiert der Punkt in dem so abgeteilten Textteil einerseits einen inhaltlich-logischen Bezug: Die Satz­grenze schließt eine Sinneinheit ab. Andererseits verweist der Punkt auf eine syntaktisch-grammatische Komponente, die Be­zug nimmt auf unser Wissen über die Satzbaupläne von Aussage­sätzen. Darüber hinaus simuliert der Punkt eine Pause und das Senken der Stimme, also prosodische Aspekte. Der Punkt insbesondere nach kurzen aufeinanderfolgenden Sinn­einheiten entfaltet eine intensive, staccatohafte Wirkung. Über­prüfen wir dies beim (lauten) Lesen folgender Szene:

Im Hausflur war es still. Ich drückte erwartungsvoll auf die Klingel. Ein Surren ertönte. Und ich trat ein.

5. Zeichensetzung in der Praxis

Abschließend stellt sich die Frage, wie man beim Textverfassen den vier oben beschriebenen Grundfunktionen der Zeichen­setzung gerecht werden kann. Welche Anforderungen werden also an eine angemessene Zeichensetzung gestellt? Hier sei der Versuch unternommen, einen Kriterienkatalog zu formu­lieren:

1. Regelwerkkonformität

Die Zeichensetzung folgt Teil E der Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung.

2. Einheitlichkeit

In den Fällen, in denen das Regelwerk Kannregeln vorsieht, also Varianten beispielsweise für die Kommasetzung zulässt, sollte eine einheitliche Variantenführung vorgenommen werden.

3. Konsistenz

In vergleichbaren Kontexten werden die gleichen Satzzeichen verwendet.

4. Textäquivalenz

Die Zeichensetzung gibt inhaltlich-logische und syntaktisch-grammatische Bezüge, stilistische Besonderheiten und proso­dische Aspekte wieder.

5. Minimalinvasivität

Getreu dem Motto „Weniger ist mehr" wird eine Zeichensetzung angestrebt, durch die unauffällige, leicht verständliche und allge­mein vertraute Schriftbilder entstehen.

6. Systematik

Im Satzinneren sollte insbesondere bei langen Sätzen ein differenzier­tes und fein abgestimmtes Zeichensystem Übersichtlich­keit schaffen.

Da allen Kriterien gleichermaßen zu entsprechen einer Quadra­tur des Kreises gleichkommt, gilt es, eine wohldurchdachte Ab­wägung vorzunehmen, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden. Das Ziel muss die optimale Steuerung des Lese- und Verstehensprozesses sein. In diesem Sinne formuliert Matthias Wermke, Leiter der Dudenredaktion und Herausgeber des Rechtschreibdudens:

... so dient alles, was wir uns als Schreiber bei der Nieder­schrift von Wörtern, Sätzen und ganzen Texten abverlangen, einzig und allein dem bequemen Zugang des Lesers zu unseren Botschaften. Der Leser soll ohne optische Hemmnisse die niedergeschriebenen Informationen aufnehmen und verstehen können. Ne­ben der Rechtschreibung im engeren Sinne ist es vor allem die Zeichensetzung, die hierzu einen wesent­lichen Beitrag leistet. Wer Satzzeichen setzt, macht sich um den Leser verdient und kommt bei der Vermittlung seiner Inhalte weiter. (S. 149)

Ausblick

Haben wir die Zeichensetzung, das „Aschenputtel" der Recht­schreibung und Grammatik (Truss, S. 10), erst einmal aus sei­nem Dornröschenschlaf erweckt, stellen sich schon weitere Fragen:

Halten wir es wie Oscar Wilde, der einen ganzen Tag über ein Komma brüten konnte (Truss, S. 76)? Oder wie Theodor W. Adorno, der die Auffassung vertrat, weniger ist manchmal mehr:

Jedenfalls wird heute wohl der am besten fahren, der an die Regel, besser zuwenig als zuviel, sich hält. ... Jedes behutsam vermiedene Zeichen ist eine Reve­renz, welche die Schrift dem Laut darbringt, den sie er­stickt. (S. 173/174)

Schließen wir uns dem Trend an, auf das vertraute Semikolon zu verzichten, dessen Leistung mehr und mehr von Punkt und Komma übernommen wird, oder retten wir dieses Satzzeichen vor dem Aussterben?

Folgen wir den Usancen der elektronischen Kommunikation, und ersetzen wir den Punkt durch Ausrufezeichen?

Haben Satzeichen einen „physiognomischen Stellenwert", wie Theodor Adorno in seinen „Noten zur Literatur" zur Diskussion stellt:

Gleicht nicht das Ausrufezeichen dem drohend geho­benen Zeigefinger? Sind nicht Fragezeichen wie Blink­lichter oder ein Augenaufschlag? Doppelpunkte ... sperren den Mund auf: weh dem Schriftsteller, der sie nicht nahrhaft füttert. (S. 163)

Und: Wie ist das Verhältnis von gesprochener Sprache zu geschrie­bener Sprache, und welche Rolle spielt die Zeichen­setzung bei der Verschriftlichung von Gesprochenem?

Dass die Zeichensetzung ihre Wirkung weit über Sprache und Schrift hinaus in die Gesellschaft hinein entfaltet, belegt die Tat­sache, dass die streikenden bolschewikischen Drucker von St. Petersburg im Jahre 1905 die gleiche Bezahlung für Satz­zeichen wie für Buchstaben forderten und so die erste Russi­sche Revolution einleiteten.

Quellenangaben & Literatur

Theodor Adorno: Satzzeichen. In: Noten zur Literatur 1. 1958. S. 163–174.

Ursula Bredel: Die Interpunktion des Deutschen. Ein kompositio­nelles System zur Online-Steuerung des Lesens. Tübingen. 2008.

Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Amtliche Regelung. Herausgegeben vom Rat für deutsche Rechtschreibung. 2006.

Wolfgang Krischke: Was heißt hier Deutsch? Kleine Geschichte der deutschen Sprache. München. 2009.

Henning van de Loo: „Kommt da eigentlich ein Komma hin?"– Ein Spaziergang durch ein nützliches Buch zum Thema Zeichen­setzung. In: Neue Stenografische Praxis 4/2001. S. 97–106.

Daniel C. O'Connell/Sabine Kowal: Communicating with One Another. Toward a Psychology of Spontaneous Spoken Discourse. 2008.

Ulrich Püschel: So schreibt man jetzt! Das Übungsbuch zur neuen deutschen Rechtschreibung. Mannheim. Leipzig. Wien. Zürich. 2006.

Christian Stang/Dr. Anja Steinhauer: Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen. Mannheim, Zürich. 2011.

Lynne Truss: Eats, Shoots & Leaves. The Zero Tolerance Approach to Punctuation. New York. 2008. – Deutsche Über­setzung: Hier steht was alle suchen – Eats, Shoots and Leaves – Bärenstark in Zeichensetzung! 2005.

Matthias Wermke: Neue deutsche Rechtschreibung für Dummies. Weinheim. 2007.

www.br-online.de/kinder/fragen-verstehen/wissen/2007

www.theologische-links.de/downloads/archaeoligie/mescha_stele.html

www.typografie.info/2/content.php/119-Die-Geschichte-der-Interpunktion

www.uni-bielefeld.de/lili/personen/useelbach/STUD/Beschorner/interpunktion.htm

www.wikipedia.org/wiki/interrobang

* Modifizierte Fassung des auf der Fachtagung des Verbandes der Parlaments- und Verhandlungsstenografen am 5. November 2011 in Kiel gehaltenen Referats.