aus: NStPr 3 (1955), Heft 1, S. 17 – 21
Durch den staatsrechtlichen Untergang des Landes Preußen war Berlin eine selbständige Gebietskörperschaft geworden, deren Rechtsgrundlage die von den Besatzungsmächten gegebene „Vorläufige Verfassung von Groß-Berlin“ bildete.
Die erste aus allgemeinen freien Wahlen hervorgegangene Stadtverordnetenversammlung, die am 26. November 1946 zusammentrat, umfaßte zunächst noch ganz Berlin und bestand aus 130 auf zwei Jahre gewählten Mitgliedern, von denen 63 der SPD, 29 der CDU, 26 der SED und 12 der LDP angehörten. Zum Stadtverordnetenvorsteher wurde der sozialdemokratische Stadtverordnete Dr. Suhr gewählt.
Tagungsort war zu Anfang das Neue Stadthaus in der Parochialstraße im sowjetischen Sektor. Nach wiederholten Zwischenfällen, die schließlich zur Spaltung der Stadt führten, ergab sich am 9. September 1948 die Notwendigkeit der Verlegung in die Westsektoren. Hier fanden die Sitzungen zunächst vorübergehend im Studentenhaus am Steinplatz statt, bis im Januar 1949 die Übersiedlung in das Rathaus Schöneberg am Rudolph- Wilde-Platz erfolgen konnte, das noch heute Sitz des Berliner Parlaments ist.
Mit der Bildung und Leitung eines Stenographenbüros für diese erste Stadtverordnetenversammlung war der frühere Reichstagsstenograph Dr. Rudolf Eggeling beauftragt worden. Als Mitarbeiter zog er seine Reichstagskollegen Peter Vossen und Dr. Fritz Dörr sowie den Pressestenographen Kurt Krause vom früheren DNB heran. Die Anstellung dieser vier Parlamentsstenographen, wie nunmehr ihre offizielle Amtsbezeichnung lautete, erfolgte nach der Vergütungsgruppe TO.A III und für den Leiter nach TO.A II. Jedem Stenographen wurde außerdem eine Sekretärin beigeordnet, dem Leiter der langjährige Stenographensekretär Paul Lanzke aus dem früheren Preußischen Landtag und Reichstag.
Die Tätigkeit des Stenographischen Dienstes umfaßte die Aufnahme und Übertragung der Plenarsitzungen der Stadtverordnetenversammlung sowie die protokollarische Aufzeichnung der Verhandlungen des Verfassungsausschusses, des Hauptausschusses und bis zur Verabschiedung der Geschäftsordnung auch des Geschäftsordnungsausschusses. Gelegentlich wurden noch andere Ausschüsse — Untersuchungsausschüsse wörtlich — stenographiert. Bei vier Stenographen ergab sich für die Plenarsitzungen — entsprechend dem Tischsystem beim Reichstag — von selbst die Zusammenfassung zu zwei Paaren, die sich anfangs stündlich, später halbstündlich ablösten. Die Übertragung begann sofort in den Zwischenzeiten, konnte aber naturgemäß nicht am gleichen Tage bewältigt werden; sie wurde in der Regel am näch-sten, spätestens am übernächsten Tage fertig. Angefertigt wurden sieben Exemplare, von denen jede Fraktion eines erhielt. Gedruckt wurden die Berichte zunächst noch nicht. Die Redner hatten auch kein Korrekturrecht; zu Beanstandungen ist es aber nicht gekommen.
Während anfänglich jedem Stenographenpaar nur ein Arbeitsraum zur Verfügung stand, wurden im Rathaus Schöneberg für das Stenographenbüro vier, später fünf Arbeitszimmer direkt hinter dem Sitzungssaal eingerichtet. Insgesamt wurden in der I. Wahlperiode 1946/48 95 Plenarsitzungen abgehalten. Sie dauerten durchschnittlich 4 Stunden, die längste Sitzung (Verabschiedung der Verfassung) mit einer kurzen Unterbrechung über 9 Stunden, die kürzeste wegen Behinderung durch Demonstranten nur 4 Minuten. Während der Präsident später fast ohne Ordnungsrufe auskommen konnte — in den letzten vier Jahren waren es z. B. nur drei —, mußten in diesen beiden ersten Jahren 15mal Abgeordnete zur Ordnung gerufen werden. Der Hauptausschuß tagte 106mal, der Verfassungsausschuß, in dem größere Referate vielfach wörtlich aufzunehmen waren, 65mal.
Die Wahlen vom 5. Dezember 1948, die nur in den Westsektoren abgehalten werden konnten, brachten der SPD die absolute Mehrheit. Da die SED wie schon nach der Spaltung den Sitzungen fernblieb, zählte die Stadtverordnetenversammlung in der folgenden II. Wahlperiode 1949/50 nur 119 stimmberechtigte Stadtverordnete: 76 von der SPD, 26 von der CDU und 17 von der FDP. Abgehalten wurden insgesamt 66 Plenarsitzungen, die im Durchschnitt 4½ Stunden dauerten, darunter die längste am 27. Oktober 1949 mit einer Unterbrechung durch Ausschußberatungen 12 Stunden, die vom 20. Juli 1950 ohne Unterbrechung 9½ Stunden. Der Hauptausschuß tagte in dieser Zeit 144mal durchschnittlich etwas über 3 Stunden, der Verfassungsausschuß 17mal.
Mit der 37. Sitzung, der ersten des Jahres 1950, begann die Drucklegung der Stenographischen Berichte bei der Verwaltungsdruckerei Berlin in der allgemein üblichen Form. Von nun an mußten die einzelnen Reden vor der Drucklegung den Rednern zur Korrektur vorgelegt werden. Die Verteilung erfolgte bei den Abgeordneten über die Fraktionsbüros, bei den Mitgliedern des Magistrats (später des Senats) über die Magistratskanzlei (Senatskanzlei). Es wurde festgelegt, daß der gedruckte Bericht bis zur nächsten Sitzung vorliegen soll, also praktisch nach 14 Tagen. Alle mit der Herstellung der Stenographischen Berichte zusammenhängenden Arbeiten einschließlich Aufstellung und Drucklegung des Sach.- und Sprechregisters liegen in den Händen des Stenographenbüros. Für die Durchsicht wird den Abgeordneten eine Frist von drei Tagen zugestanden, die aber von den zugleich im Bundestag tätigen Mitgliedern oft nicht eingehalten werden kann' Gelegentlich kommt es vor, daß ein vielbeschäftigter Abgeordneter Korrekturen stenographisch niederlegt. Dabei ist noch niemals auch nur der geringste Zweifel aufgetreten; aber wie lange müssen wir manchmal über einer kurrent schriftlichen Änderung brüten, namentlich wenn der neuerdings Mode gewordene Kugelschreiber ausgesetzt hat.
Der Band für das Jahr 1950 umfaßt 901 doppelspaltige Druckseiten; in den folgenden Jahren sind es 946, 931, 866 und 914 Seiten. In der Besetzung des Büros trat im Herbst 1949 eine Änderung ein, da der Kollege Vossen infolge seiner Berufung zur Leitung des Stenographischen Dienstes des Bundesrates ausschied. An seine Stelle trat der frühere Reichstagskollege Dr. Hans Jonuschat, zunächst aushilfsweise, dann vom 1. Januar 1950 an vollamtlich mit der Bezahlung nach TO.A II. Dieser Wechsel hatte bei den folgenden Etatberatungen auch für die anderen Kollegen eine Höhergruppierung nach II bzw. I zur Folge, allerdings zunächst nur für die Person.
Da die am 24. April 1948 noch von der alten Stadtverordnetenversammlung beschlossene Verfassung von der Alliierten Kommandantur nicht genehmigt worden war, mußten die Verfassungsberatungen in der II. Wahlperiode wiederaufgenommen werden, insbesondere um eine Abstimmung mit dem inzwischen erlassenen Grundgesetz herbeizuführen. Die neue Verfassung trat als „Verfassung von Berlin vom 1. September 1950“ am 1. Oktober 1950 in Kraft. Nach ihr erhält West-Berlin den Status eines Landes der Bundesrepublik mit den bekannten Einschränkungen durch die Vorbehalte der Alliierten. Das aus den Wahlen vom 3. Dezember 1950 hervorgegangene, auf vier Jahre gewählte Parlament führte nun die Bezeichnung „Abgeordnetenhaus von Berlin“. Statt der für Gesamt-Berlin vorgesehenen 200 Abgeordneten gehörten ihm nur 127 stimmberechtigte Abgeordnete an: 61 von der SPD, 34 von der CDU und 32 von der FDP, wozu noch 8 Abgeordnete des Ostsektors mit beratender Stimme kamen. Das neue Abgeordnetenhaus (II. Wahlperiode nach der Wahl vom 5. Dezember 1954) umfaßt ebenfalls 127 stimmberechtigte Abgeordnete: 64 von der SPD, 44 von der CDU und 19 von der FDP.
In der nun beendeten I. Wahlperiode hat das Abgeordnetenhaus 116 Plenarsitzungen — 90 Ordentliche und 26 Außerordentliche Sitzungen — von durchschnittlich 5 (effektiv 41/2) Stunden abgehalten. In 21 Fällen zogen sich die Beratungen über 7 Stunden hin' Die längste Sitzung war die 22. (Außerordentliche) Sitzung vom 3. August 1951, in der der Haushaltsplan verabschiedet wurde, mit über 14 Stunden. Zur Beratung des Haushaltsplans 1953 tagte das Haus an drei aufeinanderfolgenden Tagen insgesamt 28 Stunden. Die Stenographischen Berichte füllen 19 000 Schreibmaschinenseiten bzw. (ohne Index und Anhang) 3657 doppelspaltige Druckseiten. Der Hauptausschuß hat 289, der Verfassungsausschuß 73 und der Geschäftsordnungsausschuß 53 Sitzungen abgehalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sogenannte Kurzprotokolle nicht vom Stenographenbüro angefertigt werden. Nur in besonderen Fällen kann ein Ausschuß im Benehmen mit dem Präsidenten die stenographische Aufnahme der Verhandlungen beschließen. Zweck unserer stenographischen Protokolle ist es also, auch Feinheiten festzuhalten, die einmal wesentlich werden können. Deshalb erfordert z. B. eine normale Hauptausschußsitzung von 3 Stunden Dauer durchschnittlich 18 engzeilig geschriebene Schreibmaschinenseiten. Von Oktober 1951 bis April 1952 tagte außerdem der parlamentarische Untersuchungsausschuß Biag mit vielen Zeugenvernehmungen, die wörtlich aufgenommen und sofort auf Wachsmatrizen übertragen werden mußten. In derselben Weise wurde auch im November 1954 ein Untersuchungsausschuß bedient.
In allen Ausschüssen — außer bei Untersuchungsausschüssen — wlrd ohne Kollation geschrieben. Da Ausschuß- und Plenarsitzungen zeitlich oft nahe beieinander liegen — z. B. mittwochs Hauptausschuß, donnerstags Verfassungsausschuß und Plenum, während einer Plenumspause unter Umständen noch ein Ausschuß, freitags Hauptausschuß —, ist es bei dem kleinen Büro nicht zweckmäßig, in eine Ausschußsitzung nur einen einzigen Stenographen zu schicken, da der betreffende Kollege vom Plenum nicht freigestellt werden könnte, wodurch sich die Möglichkeit eines Ausgleichs vermindert und vor allem die Übertragung sowohl der Ausschußsitzung wie auch der Plenarsitzung über Gebühr verzögert würde. Der Ausschußturnus war ursprünglich auf 1½ Stunden festgesetzt und ist im Laufe der Zeit, um die Ubertragung zu beschleunigen, immer weiter verkürzt worden, zuletzt bis auf ¾ Stunden, womit aber die untere Grenze, die mit Rücksicht auf eine einheitliche Berichterstattung verantwortet werden kann, erreicht sein dürfte.
Die Möglichkeit, in Fällen besonderer Belastung und bei längeren Krankheitsfällen, wie sie vorgekommen waren, andere Kollegen heranzuziehen, hat in Berlin niemals bestanden, da für diese Zwecke keinerlei Mittel im Etat vorhanden sind. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, und zugleich zur Heranbildung geeigneten Nachwuchses, wurde im Jahre 1952 noch eine Hilfsstenographenstelle mit der Vergütung nach TO.A IV geschaffen und im Dezember 1952 mit dem früheren Pressestenographen Gerhard Habermacher besetzt, der sich rasch einarbeitete und vom April 1953 an als vollwertiger Turnusstenograph eingesetzt werden konnte. Seiner Tüchtigkeit ist es zu danken, daß nach dem Ausscheiden unseres allverehrten Leiters Dr. Eggeling alle Dienstgeschäfte reibungslos weiterlaufen konnten und vor allem unser neuer Kollege Fritz Krämer, ebenfalls ein früherer Pressestenograph, der seine erste Ausbildung noch im Preußischen Landtag erhalten hatte, gut und sicher in sein neues Amt hineinwachsen konnte.
Die Vergrößerung des Büros von vier auf fünf Stenographen hatte zwangsläufig den Übergang vom Tischsystem zum Kettenturnus zur Folge. Außerdem ist in der letzten Zeit der 15-Minuten-Turnus auf 12 Minuten verkürzt worden, so daß jeder Stenograph 24 Minuten schreibt und 36 Minuten zur Übertragung ausnutzen kann. Er löst dann in derselben Sitzung immer zur gleichen Minute ab und hat für diese Sitzung immer den gleichen Turnusbuchstaben a, b, c, d oder e. Diesem Buchstaben wird noch die Stundenzahl vorgesetzt. Aus der Turnusbezeichnung 4 c ersieht man sofort, daß dieser Turnus von 4.24 bis 4.36 Uhr läuft und von wem er geschrieben wurde.
Von den nunmehr fünf Stenographen schreiben drei Stolze-Schrey, einer Gabelsberger und einer Stolze, neuerdings allerdings schon mit einem starken Stolze-Schreyschen Einschlag. Da alle Kollegen das System Stolze- Schrey beherrschen, ist es in unserem Büro für Aufzeichnungen praktisch zur Einheitsstenographie geworden.
Die Verdienste Dr. Eggelings, die der Bundespräsident durch die Verleihung des Verdienstkreuzes zum Verdienstorden der Bundesrepublik besonders anerkannt hat, sind in diesen Blättern schon eingehend gewürdigt worden. Eine Genugtuung war es uns allen, daß Dr. Eggeling noch kurz vor seiner Pensionierung — Ende März 1953 —, wieder Beamter geworden, zum Oberregierungsrat befördert wurde. Nach dem Zusammenbruch waren ja in Berlin alle Beamtenrechte beseitigt worden.
Die Wertschätzung, die unser Büro genießt, kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, daß neben dem neuen Leiter Dr. Dörr auch der Kollege Dr. Jonuschat für seine Person zum Oberregierungsrat befördert wurde, daß die Überführung der Kollegen Krause und Krämer in Regierungsratsstellen reibungslos vonstatten ging und dann auch der Kollege Habermacher, der vom Präsidenten noch mit verschiedenen Sonderaufgaben betraut wird, zum Regierungsrat ernannt wurde. Besonderen Dank schulden wir dem Regierenden Bürgermeister Professor Dr. Suhr, der in den acht Jahren seiner ununterbrochenen Präsidententätigkeit allen unseren Problemen und Wünschen stets großes Interesse und Verständnis entgegengebracht hat.