VERBAND DER PARLAMENTS- UND VERHANDLUNGSSTENOGRAFEN E.V.

Die Kurzschrift bei den Waffenstillstandsverhandlungen vom 8. bis 11. November 1918.

Von Georg Blauert.

Die deutsche Waffenstillstandskommission, die am 7. November 1918 mittags 12 Uhr das deutsche Große Hauptquartier in Spa im Kraftwagen verlassen und abends 9 Uhr 20 Min. unter weißer Flagge die, Front bei La Capelle überschritten hatte, bestand aus zehn Personen: Staatssekretär Erzberger (als Vorsitzender), außerordentlicher Gesandter Graf Oberndorff (als Delegierter), General v. Winterfeldt (als Delegierter), Kapitän zur See Vanselow (als Delegierter), Hauptmann im Generalstabe Geyer. Rittmeister v. Helldorff (als Dolmetscher und Kurier), Dr. Blauert (als Stenograph), Vizefeldwebel Hinnenberg (als Schreiber), ein Diener und ein Bursche.

Nach 17stündiger Fahrt im Kraftwagen wurde früh 5 Uhr in Tergnier bei Chauny ein für die deutsche Sonderkommission bereitstehender Sonderzug bestiegen. Am 8. November früh gegen 7 Uhr war das Ziel erreicht. Der Zug hielt in einem Walde (in der Nähe von Compiègne?); in einer Entfernung von ungefähr 150 m befand sich ein zweiter Sonderzug, der die feindliche Waffenstillstandskommission beherbergte. Diese bestand aus Marschall Foch, General Weygand, Dolmetscheroffizier Laperche, Admiral Sir Wemyss, Admiral Hope, Kapitän zur See Marriott, Dolmetscheroffizier Bagot.

Vollsitzungen, an denen sämtliche Mitglieder der deutschen und feindlichen Waffenstillstandskommission teilnahmen, haben nur zwei stattgefunden: am 8. November vormittags 10 Uhr zur Entgegennahme der Waffenstillstandsbedingungen und in der Nacht vom 10. zum 11. November zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages.

Stenographisch aufgenommen wurde nur die letztere. Sie fand in dem Salonwagen des gegnerischen Sonderzuges statt und dauerte von 2 Uhr 15 Min. bis 5 Uhr 30 Min. (französische Zeit) früh. In der Mitte des Wagens war ein großer viereckiger Tisch aufgestellt. An jeder Längsseite waren vier Plätze. Den vier deutschen Delegierten gegenüber saßen Marschall Foch, General Weygand, Admiral Sir Wemyß, Admiral Hope, während die beiden Dolmetscheroffiziere Laperche (für Französisch) und Bagot (für Englisch) an der einen Schmalseite des Verhandlungstisches Platz genommen hatten. Außerdem waren rechts und links im Wagen zwei schmale Tische an der Wand, an denen links Kapitän zur See Marriott, rechts Hauptmann Geyer und ich saßen.

Die Verhandlung wurde französisch und deutsch, zum Teil auch, soweit sie die Flotte und die Kolonien betraf, englisch und deutsch geführt. Die einzelnen Artikel des Vertragsentwurfs wurden französisch vorgelesen und ins Deutsche übersetzt. Dann war der Artikel entweder erledigt oder Staatssekretär Erzberger brachte in deutscher Sprache die deutschen Wünsche vor. Sie wurden ins Französische übersetzt. Marschall Foch antwortete französisch, und der Dolmetscher übersetzte die Antwort nieder ins Deutsche. Ebenso verliefen die englisch geführten Verhandlungen, nur daß statt Marschall Foch Admiral Wemyss die Antwort erteilte und daß statt des französischen der englische Dolmetscher in Tätigkeit trat. Die Ausführungen waren im allgemeinen gut verständlich, wenn auch teilweise sehr rasch gesprochen wurde.

Ich hatte nur Befehl, das deutsch Gesprochene zu stenographieren. Da aber fast alles französisch und englisch Gesprochene verdolmetscht wurde, ergab das Stenogramm ein ziemlich vollständiges Bild der Verhandlungen, Am nächsten Morgen wurde der genaue Wortlaut des stenographischen Protokolls im Verein mit Staatssekretär Erzberger und Kapitän zur See Vanselow festgestellt, wobei die nur französisch und nur englisch geführten Teile der Verhandlung aus dem Gedächtnis ergänzt wurden. Die Übertragung der stenographischen Niederschrift in gewöhnliche Schrift erfolgte erst nach unserer Rückkehr nach Spa. 5 Uhr 20 Min. (6 Uhr 20 Min. mitteleuropäischer Zeit) früh wurde der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet, 5 Uhr 30 Min. war die Sitzung beendet.

Meine stenographische Tätigkeit bei der deutschen Waffenstillstandskommission in der Zeit vom 8. bis 11. November beschränkte sich aber nicht auf die stenographische Aufnahme dieser Vollsitzung. Ich habe vielmehr während der ganzen Zeit den deutschen Delegierten als Diktatstenograph zur Verfügung gestanden:

  • Staatssekretär Erzberger zur Anfertigung seines ausführlichen Berichtes,
  • den anderen Delegierten zur Anfertigung zahlreicher Protokolle über Sonderbesprechungen die sie mit Mitgliedern der feindlichen Kommission gehabt hatten.

Den größten Teil meiner kurzschriftlichen Tätigkeit bei der deutschen Waffenstillstandskommission hat aber das Protokollieren bei den eingehenden Beratungen ausgemacht, die die deutschen Delegierten untereinander abhielten. Es handelte sich um Stellungnahme zu den einzelnen Artikeln der Waffenstillstandsbedingungen, zu denen die deutschen Wünsche in einem Schriftsätze niedergelegt wurden, den die deutschen Delegierten der feindlichen Kommission überreichten.

Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands Vertrages am 11. November früh war die Aufgabe der deutschen Waffenstillstandskommission erledigt. Mittags gegen 1 Uhr verließ unser Sonderzug den Verhandlungsort, und um 5 Uhr nachmittags bestiegen wir in Tergnier bei Chauny unsere deutschen Kraftwagen. Am 12. November vormittags 11 Uhr — also nach 18 stündiger Fahrt im Kraftwagen — waren wir wieder im deutschen Großen Hauptquartier in Spa angelangt.