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Verbandstag 2009 in Hannover
Geschrieben von Kerstin Decker, Dresden
Montag, 22. November 2010
aus: NStPr 58/1 (2010)
Die niedersächsische Landeshauptstadt empfing die circa 60 Teilnehmer des Verbandstages – zuletzt hatte eine solche Veranstaltung in Hannover vor 25 Jahren stattgefunden; insgesamt war es erst der zweite in dieser Stadt – am Freitagabend mit spätsommerlichen Temperaturen. Man traf sich, einer schönen Tradition folgend, zum gemütlichen Beisammensein im Urbock‑Keller des Broyhan‑Hauses, gleich neben dem Hotel Concorde, in dem der überwiegende Teil der Teilnehmer wohnte. Das Broyhan‑Haus zählt zu den ältesten Bürgerhäusern Hannovers und wurde Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut. 1537 erwarb es sein Namensgeber, Braumeister Cord Broyhan. 1985 wurde der Fachwerkbau originalgetreu rekonstruiert.
Eröffnet wurde der Verbandstag am Samstagvormittag im Leibniz‑Saal im Hauptgebäude des seit 1962 im Leineschloss untergebrachten Landtages mit einer Begrüßung durch den Vorsitzenden Dr. Wolfgang Behm sowie durch Udo Winkelmann als Vertreter der Landtagsverwaltung; ihre Reden sind gleich im Anschluss an diesen Beitrag abgedruckt.
In die anschließende Fachtagung zum Thema „Stenografische Protokollierung im Lichte der Öffentlichkeit" führte Dr. Bärbel Heising, die die Moderation dieses Veranstaltungsteils übernommen hatte, mit dem Hinweis ein, dass sich Medienvertreter oft an die Stenografischen Dienste wenden. Für die Stenografischen Dienste sei es wichtig, sich sowohl nach innen, also verwaltungsintern, als auch nach außen angemessen zu präsentieren. Öffentlichkeitsarbeit lasse sich auf folgenden Wegen betreiben: Vorträge, Interviews, Mitwirkung in Informationsfilmen, Inter- und Intranetauftritte, Kontakte mit Besuchergruppen, hauseigene Publikationen, Ausstellungen, Projektwochen sowie Tage der offenen Tür, zu deren Vorbereitung die Beantwortung der Frage gehöre, welche Zielgruppen angesprochen, welche Botschaften vermittelt und welche Ideen umgesetzt werden sollten.
Thomas Wagner, Kiel, informierte in der Folge unter Zuhilfenahme einer PowerPoint‑Präsentation mit dem Titel „Was Sie schon immer über Stenografie wissen wollten" über den Tag der offenen Tür im Schleswig‑Holsteinischen Landtag. Zur Vorbereitung habe er FAQs, Frequently Asked Questions, zurate gezogen, um herauszufinden, was die Besucher am meisten interessieren könnte. Im Plenarsaal des Landtags – dort war dem Stenographischen Dienst ein Platz zugewiesen worden – habe man über einen Laptop Tonbeispiele präsentiert; außerdem hätten zwei Stellwände zur Veranschaulichung der Plenar- und der Ausschussarbeit gedient. Handouts, Namensschilder in Kurzschrift, ein Stenoquiz, bei dem die Besucher grafischen Darstellungen die entsprechenden stenografischen Wortbilder hätten zuordnen müssen, sowie Kopien der •• 2, 3 und 5 der Wiener Urkunde hätten darüber hinaus Eindrücke von der Arbeit des Stenographischen Dienstes vermittelt. Auf die Darstellung von Stilblüten oder „verunglückten" Sätzen sei jedoch verzichtet worden. Fazit: Wenig Anklang habe bei den Besuchern die Erläuterung der Ausschussarbeit gefunden. Dafür sei das Wortquiz auf deutlich mehr Begeisterung gestoßen, ebenso das Schauschreiben über einen Beamer – und nicht zuletzt die bereitgestellten Müsliriegel.
Simona Roeßgen, Düsseldorf, verdeutlichte – ebenfalls mithilfe einer PowerPoint‑Präsentation – ihre Erfahrungen beim Tag der offenen Tür des Landtags Nordrhein-Westfalen. Schwerpunkte der Präsentation des Stenografischen Dienstes seien Stenografie, Technik/Ausrüstung und Ausbildung gewesen. Zunächst schlüpfte sie jedoch in einer kleinen schauspielerischen Einlage in drei Besucherrollen und stellte drei vorher instruierten Anwesenden einige der bereits oben erwähnten FAQs, zum Beispiel, wie viele Silben ein Stenograf schreiben müsse, worin seine Aufgabe bestehe, ob jedes Wort wiedergegeben werde, wo man die Kurzschrift erlernen könne und ob sie im Zeitalter moderner Aufnahmetechnik überhaupt noch notwendig sei. Sie forderte anschließend dazu auf, weitere Fragen dieser Art dem Verbandsvorstand zukommen zu lassen, damit dieser zur Vorbereitung entsprechender Veranstaltungen eine allen Verbandsmitgliedern zugängliche Handreichung ausarbeiten könne.
Anke Dummin, Saarbrücken, und Ulla Bohnes, ebenfalls Saarbrücken, widmeten sich in ihrer Präsentation dem Tag der offenen Tür des Landtages des Saarlandes im Jahre 2007, zu dem der Stenografische Dienst Vorgaben von der Landtagsspitze – stündliche Führungen, 15‑minütige Vorträge und die anschließende Vorstellung der Abteilung – erhalten habe. Unter Mitwirkung von fünf Kolleginnen und Kollegen seien viele Ideen entstanden, beispielsweise die Präsentation der eigenen Arbeit über einen Film, eine PowerPoint‑Präsentation sowie die Auslage der „Blätter zur Berufskunde". In einem eigens zur Präsentation des Stenografischen Dienstes vorgesehenen Raum seien Vitrinen zur Ausstellung von Dokumenten und Schreibmaschinen sowie Stellwände mit einer „Stenotapete", auf denen Kopien aus „Winklers Wörterbuch" sowie Stilblüten dargestellt worden seien, genutzt worden. Da dies bei den Besuchern auf große Resonanz gestoßen sei, habe man einen Grafiker mit der professionellen Umsetzung dieses „Erstlingswerkes" beauftragt, um es weiteren Besuchergruppen im Landtag zeigen zu können. Anke Dummin stellte fest, alles in allem hätten sich die PowerPoint‑Präsentation und die Ausstellung sehr gut ergänzt. Anschauungsmaterial dazu habe man im Tagungsraum besichtigen können.
Alfred Vogel, München, berichtete anschließend vom Tag der offenen Tür des Bayerischen Landtages im Jahre 2007. Er führte aus, dass sich in einer ständigen Ausstellung in der vierten Etage des Bayerischen Landtages in Vitrinen Stenogramme berühmter Persönlichkeiten befänden, unter anderem von Theo Waigel, Bertolt Brecht und Erich Kästner, sowie die Kopie eines Stenogramms des Papstes. Neben dieser Ausstellung dienten zur Veranschaulichung all dessen, was zum Stenografenberuf gehöre, die Darstellung tironischer Noten und der Bayerischen Verfassungen von 1818 und 1946 – letztere als Entwurf vom damaligen Ministerpräsidenten stenografisch niedergelegt. Die Hauptattraktion des Tages der offenen Tür sei ein Schauschreiben des Landtagsstenografen Volker Springwald gewesen, der sich danach für die Beantwortung von Fragen, auch bezüglich des Stenogramms, zur Verfügung gestellt habe. Den Weg vom Stenogramm zum fertigen Protokoll habe Monika Stier‑Balhuber mittels Folien grafisch dargestellt. Weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahmen seien ein Bericht über die Stenografie in der Fernsehserie „Zwischen Spessart und Karwendel" sowie Flyer zum Ablauf der Plenarsitzungen gewesen. Ein sehr anschaulicher dreiminütiger Tonfilm von 2007 verdeutlichte anschließend die Arbeit des Stenografischen Dienstes des Bayerischen Landtages bei der Erstellung eines Plenarprotokolls.
Nach einer etwa halbstündigen Unterbrechung wurde über die Vorträge lebhaft diskutiert. Nebenbei sei erwähnt, dass das Partnerprogramm für den Vormittag eine Führung durch die Herrenhäuser Gärten vorsah.
An das Mittagsbuffet auf Einladung des Landtagspräsidenten im Restaurant „Leineschloss" schloss sich eine Führung durch das Landtagsgebäude an. Informiert durch sehr anschauliche und sachkundige Erklärungen, durften die Teilnehmer unter anderem ein Modell des Landtages im Foyer besichtigen, die Bibliothek, den Besprechungsraum der CDU‑Fraktion – in welchem den Abgeordneten allgegenwärtig auf einem Display die aktuelle Höhe der Verschuldung des Landes angezeigt wird –, das lichtdurchflutete, 140 Quadratmeter große Zimmer des Landtagspräsidenten, den Plenarsaal – der noch unter dem Aspekt der „Politik hinter verschlossenen Türen" gebaut worden war – sowie die Wandelhalle mit Gobelins und Gemälden.
Ab 15.15 Uhr wurde die Tagesordnung der Mitgliederversammlung abgearbeitet. Die Ergebnisse dieses Teils des Verbandstages sind in dieser Ausgabe der „Neuen Stenografischen Praxis" veröffentlicht.
Um 18.30 Uhr stand eine Führung durch die Altstadt von Hannover auf dem Programm – immer dem „Roten Faden" folgend, einer 4,5 Kilometer langen roten Linie, die zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt führt. Für die „Daheimgebliebenen" zum Nachvollziehen hier der Link: www.roterfaden-hannover.de.
Die Führung begann auf dem Domplatz mit der Besichtigung des Luther‑Denkmals neben der Marktkirche mit ihrem 98 Meter hohen Turm, in der General Johann Michael von Obentraut, der das Urbild des deutschen Michels verkörperte, 1625 seine letzte Ruhestätte fand. Der Rundgang führte als Nächstes zum 1439 erbauten und 1998 aufwendig restaurierten Alten Rathaus – dem Symbol der 1619 von Hannover erworbenen „hohen Gerichtsbarkeit" –, in dessen Gerichtslaube neben dem Gebäude früher unter freiem Himmel Recht gesprochen wurde. Der an der Mauer befindliche „Neidkopf" sollte einst böse Geister abwehren.
Am nächsten Haltepunkt war zu erfahren, dass mit der Expo 2000 zum Thema „Mensch – Natur – Technik" zum ersten Mal eine Weltausstellung in Deutschland stattfand. Dafür habe sich die ehemalige niedersächsische Ministerin und spätere Treuhandchefin Birgit Breuel sehr eingesetzt. Danach erreichte die Gruppe den Kröpcke, einen zentralen Platz in der Innenstadt Hannovers, unter anderem mit einer eleganten Einkaufspassage und einer oft als Treffpunkt dienenden Uhr von 1885. Der ungewöhnliche Name dieses Platzes geht auf den Oberkellner Kröpcke zurück, an den ein aus der Schweiz zugewanderter Zuckerbäcker seine Gaststätte um 1900 verkauft hat. Der Rundgang führte im Weiteren an der Hannoveraner Oper vorbei, vor der das Ernst‑August-Denkmal steht. König Ernst August hatte 1837 das hannoversche Staatsgrundgesetz außer Kraft gesetzt. Man streifte dann das Varieté in der Georgstraße, benannt nach König Georg III. von Großbritannien, Irland und Hannover. Unter seiner Führung war Hannover, das damals zehn ehemalige Fürstentümer und Grafschaften sowie sieben Provinziallandtage und damit etwa vier Fünftel der Fläche des heutigen Landes Niedersachsen umfasste, Königreich geworden.
Weiter ging es zum Denkmal des in Wien geborenen Hannoveraner Ehrenbürgers Karl Karmarsch. Falls jemand noch nichts von ihm gehört haben sollte: Er war der Gründer und spätere Direktor der Höheren Gewerbeschule, des späteren Polytechnikums bzw. der heutigen Leibniz‑Universität. Von hier aus war es nicht weit zum Denkmal eines der letzten Universalgelehrten, des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, des Erfinders des binären Zahlensystems und Namensgebers des 1891 von Hermann Bahlsen auf den Markt gebrachten Leibniz‑Kekses. Der Weg führte danach am Gebäude der Deutschen Bundesbank vorbei, in welchem die in Berlin, München und Leipzig hergestellten Euronoten und Euromünzen bis zu ihrer Auslieferung im Jahre 2002 lagerten. Nach der Besichtigung der mittelalterlichen Stadtmauer erreichte die Führung die St.‑Aegidien-Kirche, die 1347 im gotischen Stil als Hallenkirche erbaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Heute stellt sie mit ihrer Friedensglocke, einem Geschenk der Partnerstadt Hiroshima aus dem Jahre 1985, ein Mahnmal gegen Gewalt dar. Beendet wurde die Stadtführung vor dem Restaurant „Stadtbrauerei‑HBX" im Herzen Hannovers, in dem man in der für geschlossene Veranstaltungen vorgesehenen zweiten Etage den Tag ausklingen ließ.
Am Sonntagvormittag fand schließlich die Besprechung der Leiterinnen und Leiter der Stenografischen Dienste statt, bei der diese über die derzeitige Lage in ihren Häusern berichteten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Personaldecke ist überwiegend gerade ausreichend. Teilweise ist man aber auf Gaststenografen angewiesen. Die Nachwuchsgewinnung gestaltet sich, vor allem aufgrund der Unkenntnis über unseren Berufsstand und die Stenografie, schwierig. In einigen Landtagen ist für Stenografen mit weiten Arbeitswegen Telearbeit beantragt bzw., wie im Niedersächsischen Landtag, zum Teil bereits genehmigt worden. Etwas problematisch stellt sich wegen des hohen Arbeitsaufwandes die Protokollierung der vertraulichen Teile von Untersuchungsausschusssitzungen dar.
An dieser Stelle sei den Stenografen des Niedersächsischen Landtages, allen voran Gerd Miethe, sowie dem Verbandsvorstand für die gute Organisation des Verbandstages gedankt, an den sich die Teilnehmer sicher gern erinnern werden.