aus: NStPr 56/2 (2007) 33–37
Die Vollsitzung des Bayerischen Landtags am 22. Juli 2004 war die letzte im alten Plenarsaal des Maximilianeums. In den mehr als 55 Jahren seit dem 11. Januar 1949 fanden dort laut Statistik insgesamt 1 826 Sitzungen statt. Im Laufe der Jahrzehnte seiner Zweckbestimmung hatte der alte Plenarsaal zwangsläufig eine gewisse „historische Patina" angesetzt und entsprach mit zunehmenden Jahren immer weniger den Ansprüchen eines modernen Parlaments. Funktionalität der Abgeordnetenplätze, Belichtung, Belüftung, Brandschutz, Akustik und Medientechnik mussten dringend erneuert bzw. vollkommen neu konzipiert werden. Zu diesem Zweck wurden in den Jahren 2000 und 2001 zwei Architektenwettbewerbe ausgeschrieben. Erster Preisträger wurde schließlich der renommierte Berliner Architekt Volker Staab. Dieser hatte bereits 1994 für die Erweiterungsbauten Nord und Süd auf der Ostseite des Maximilianeums verantwortlich gezeichnet.
Der schwierige Grundriss des Plenarsaals mit einer Breite von mehr als seiner doppelten Länge und insgesamt sehr beengten Raumproportionen stellte Planer und Bauausführende vor eine schwere Aufgabe. Eine im Landtag für das Umbauvorhaben eigens gebildete Baukommission mit dem Präsidenten, den Vizepräsidenten, Abgeordneten aus allen Fraktionen, dem Architekten sowie Vertretern des Landtagsamts und der Bauverwaltung begleitete die Arbeiten. In den insgesamt 17 Sitzungen dieses Gremiums zwischen März 2004 und November 2005, die ich protokollierte, wurde eine Vielzahl sehr interessanter baulicher, technischer und gestalterischer Fragen erörtert. Deren detaillierte Schilderung würde den Rahmen dieses Aufsatzes jedoch sprengen. Zur Illustrierung des Vorhabens sollen nur ein paar wesentliche Elemente beschrieben werden:
Das Raumgeviert wurde zunächst bis auf die Außenwände entkernt. Zum Zwecke der leichteren Erschließung und Erreichbarkeit des Abgeordnetenbereichs wurde dann die „innere Organisation" des Saales mit den Abgeordnetenplätzen, der Regierungsbank und den Präsidiumsplätzen um 180 Grad gedreht. Regierungsbank und Präsidiumsstühle befinden sich demgemäß nunmehr an der Ostseite des Raumes. Diese Maßnahme war der erste Schritt zu einer grundlegenden Umgestaltung, deren Ergebnis keinerlei Gemeinsamkeiten mehr mit dem alten Plenarsaal erkennen lässt. Durch die Drehung konnte zudem die südliche Seitenwand für ein von der Decke bis zum Boden reichendes großes Fenster geöffnet werden.
Der einzig mögliche Raumgewinn wenigstens in der Breite wurde durch Verzicht auf die bisherigen Besucheremporen, die Diplomatenloge, das Übertragungsstudio des Bayerischen Rundfunks und den Funktionsraum des technischen Dienstes auf der Nord- und Südseite des Saales erzielt. Die technischen und medialen Funktionen wurden in andere Räume verlegt. Besucher, Ehrengäste und Journalisten können die Sitzungen jetzt von einer konkav geschwungenen Tribüne mit 133 Plätzen aus verfolgen, die auf der Westseite die gesamte Raumbreite überspannt.
Ein weiterer bestimmender Zug der Umgestaltung ist die horizontale Teilung des Raumes in zwei Raumschalen: Die Basis des Saales bildet eine Schale mit Holzflächen aus gebleichter Eiche für Wände, Parkett und Tischreihen sowie roten Leder- und Textilbezügen an den Stühlen. Sie organisiert die Funktionsflächen mit Abgeordnetenplätzen, Regierungsbank, Zuschauertribüne und Technikräumen. Eine zweite Schale aus satiniertem Glas bestimmt den oberen Bereich. Sie öffnet den Raum zum Licht und schafft einen neuen Raumhorizont. Die Glasschale wird dabei durch eine punktgelagerte Konstruktion gehalten. Diese neuartige Technik der „hinterschnittenen Verankerung" wurde hier erstmals für eine Deckenverglasung eingesetzt. Durch den Übergang der satinierten Glasdecke in gläserne Seitenwände gewissermaßen als Ergänzung der hellen Holzwände wird die Begrenzung des tatsächlichen Raumes regelrecht verwischt. Im Zusammenspiel mit der schon erwähnten großen Fensteröffnung in der südlichen Seitenwand ist die Versorgung des neuen Plenarsaales mit Tageslicht in weitaus größerem Maße als seinerzeit im alten Plenarsaal gewährleistet.
Das Thema „Abgeordnetenstühle und Ausstattung der Arbeitsplätze der Abgeordneten im Plenarsaal" war Beratungsschwerpunkt mehrerer Sitzungen der Baukommission. Im Rahmen des Entscheidungsprozesses fand auch ein Probesitzen auf Stuhlmodellen verschiedener Hersteller statt. Das „Sesselrennen" gewann schließlich eine baden-württembergische Firma. Die übrigen Wettbewerber ‑ u. a. aus Bayern ‑ vermochten die Anforderungen nicht zu erfüllen. Größere Bewegungs- und Beinfreiheit als auf den alten Sitzen wurde mit fest montierten, aber auf Schienen beweglichen und drehbaren Stühlen erreicht. Ein Vorbeigehen hinter den Stühlen ist nunmehr gewährleistet. Die unbesetzten Stühle fahren per Federkraft automatisch in ihre Ausgangsposition zurück. Die Anordnung und Anzahl der Abgeordnetenplätze kann durch Tischmodule flexibel gestaltet werden. Quellluftauslässe in den Tischen ermöglichen eine zugfreie Belüftung des Saales.
Kabinettsmitglieder, die zugleich gewählte Abgeordnete sind, erhalten einen Platz nur noch auf der Regierungsbank, nicht mehr dagegen ‑ wie bisher ‑ auch in den Abgeordnetenreihen. Durch diese Reduzierung der Plätze können die Vorgaben des Schwerbehindertengesetzes eingehalten werden, wie zum Beispiel ein Wendekreis mit 1,20 m Durchmesser hinter dem Rednerpult.
Im Plenarsaal und in den angrenzenden Räumen wurde eine flächendeckende Wireless‑Lan-Struktur verwirklicht. Den Abgeordneten wird damit ein einfacher, schneller und drahtloser Internetzugang ermöglicht. Durch eine entsprechende Ergänzung der Medientechnik verfügt der Bayerische Landtag nun über die Möglichkeit, ins Internet, zum eigenen Hausfernsehen, zum Bayerischen Rundfunk und zu anderen Anbietern zu übertragen.
Zum Thema „Kunst am Bau": Der Gobelin mit dem Großen Bayerischen Staatswappen und den Wappen der Regierungsstädte Bayerns sowie das um 1858 entstandene Kolossalgemälde „Seeschlacht bei Salamis" von Wilhelm von Kaulbach aus dem alten Plenarsaal hätten sich stilistisch nicht mehr in den modernen und hellen umgestalteten Plenarsaal eingefügt. Ihre neue Heimat finden sie künftig im gegenüberliegenden Senatssaal nach Abschluss der dortigen Umbauarbeiten im Herbst 2008. Auf das Große Bayerische Staatswappen wird im neuen Plenarsaal dennoch nicht verzichtet. Gemäß dem künstlerischen Entwurf von Nol Hennissen, dem Sieger des dazu durchgeführten Kunstwettbewerbs, wird es an der Ostwand über den Präsidiumsplätzen in Form von Lochungen dargestellt. Die Konturen ergeben sich dabei durch die jeweils unterschiedliche Größe und Dichte der mit Hilfe eines Rasters aufgebrachten Bohrungen. Im Bereich des Herzschildes des Wappens sind zur Betonung der Rautenstruktur zudem Edelstahlstifte eingelassen. In derselben rastergestützten Bohrtechnik sind an der gegenüberliegenden Westwand auf der Besuchertribüne die Wappen der sieben bayerischen Regierungsbezirke abgebildet.
Der Stenografentisch befindet sich auch im neuen Plenarsaal an seinem angestammten Platz vor dem Rednerpult und damit wiederum an zentraler Stelle in der Herzkammer des bayerischen Parlaments. Er bietet zwei Stenografinnen/Stenografen Platz und ist mit zwei ausklappbaren Tischlautsprechern ausgestattet. Wegen seiner unmittelbaren Nähe zum Rednerpult (Raumknappheit) befindet er sich in einer 12 cm tiefen Bodensenke. Damit wird vermieden, dass bei Fernsehübertragungen der Plenardebatten die Hinterköpfe der Geschwindschreiberinnen/Geschwindschreiber nach ihrer Beschaffenheit wie Halbmonde in den unteren Bereich des Kamerabildes ragen.
Von der Umbaumaßnahme war der Stenografische Dienst in mehrfacher Hinsicht betroffen: Der Einbau der neuen Glasdecke und der Austausch der darüberliegenden Dachverglasung wurden nämlich gleich für eine grundlegende Renovierung des gesamten Dachgeschosses des Altbaues genutzt, das unsere Büroräume beherbergt. Die bisher waagrechten niedrigen Decken der kleineren Räume wurden der Dachschräge angepasst, und damit wurde das Raumvolumen vergrößert. Die Räume erwärmen sich nun an heißen Tagen nicht mehr so schnell wie früher. Weitere Maßnahmen waren die Verbesserung der Wärmedämmung, die Klimatisierung bestimmter Teilbereiche, der Einbau neuer Belichtungs- und Belüftungstechnik und einer überaus großzügigen „Teeküche". Zur Realisierung dieser Vorhaben waren wir vom Sommer 2004 bis Frühjahr 2005 für sieben Monate in einem „Containerdorf" im Nordhof des Maximilianeums untergebracht. Die Umzüge klappten dank einer umsichtigen Logistik jeweils reibungslos.
Der insgesamt 15-monatige Umbau fand bei vollem Parlamentsbetrieb statt. Der Senatssaal diente dabei als provisorischer Plenarsaal. In dessen Zentrum befanden sich die Stenografinnen/Stenografen auf Tuchfühlung mit den Abgeordneten. Die Zwischenrufe waren deshalb jeweils sehr deutlich vernehmbar. Die geradezu familiäre Sitzungsatmosphäre verleitete die Abgeordneten allerdings zunehmend zu zahlreichen Unterhaltungen ‑ mit der Folge eines entsprechend hohen Geräuschpegels. Alles in allem überstanden wir diese Phase provisorischer Arbeitsbedingungen aber nicht zuletzt dank der umfassenden Unterstützung durch unser Haus recht gut und können diese Zeit unseren Berufserinnerungen als interessante Episode hinzufügen.
Zeitgleich mit der Umgestaltung des Plenarsaals wurde der darunterliegende Saal 3, in dem Haushaltsausschuss- und Fraktionssitzungen stattfinden, neu gestaltet. Durch Herausnehmen einer Trennwand wurde er um die Hälfte vergrößert und bietet nunmehr 50 Teilnehmern und 30 bis 40 Besuchern bei variabler Sitzordnung Platz. Ferner wurden Akustik und Klimatisierung verbessert.
Unmittelbar daneben wurde ein Raum der Stille als Ort der Meditation, der Sammlung, der Andacht und des Rückzugs aus der Betriebsamkeit des Landtags eingerichtet. Die künstlerische Gestaltung oblag dem Sieger des dazu durchgeführten Wettbewerbs, Florian Lechner aus Nußdorf. Bestimmende Materialien sind unbehandelt erscheinendes, gebleichtes Eichenholz und Glasprismen. Der verklingende Ton einer gläsernen Klangschale kann das Erleben der Stille gemäß dem Motto des Künstlers erleichtern: „Stille beginnt für mich, wenn der Klang endet." Dieser Raum der Stille ist als überaus gelungenes Gesamtkunstwerk eine Bereicherung über das Maximilianeum hinaus für das Münchner Parlamentsviertel Haidhausen schlechthin.
Nach nur 15-monatiger intensiver Bauzeit wurde der Umbau vollendet. Der ursprüngliche Kostenrahmen von 9,9 Millionen Euro wurde eingehalten.
Den letzten Turnus der letzten Plenarsitzung im alten Plenarsaal am 22. Juli 2004 und den ersten Turnus der ersten Plenarsitzung im neuen Plenarsaal am 13. Dezember 2005 protokollierte unser allseits geschätzter Kollege Alfred Vogel. Ihm gebührt damit ein ganz besonderes i‑Tüpfelchen in der langen bayerischen Parlamentsgeschichte und im Zeitlauf unseres Stenografischen Dienstes.