Hitler aus der Asche
Geschrieben von Martin Dahms
George Allen war ein Buchhändler aus Philadelphia, den Roosevelt zum Kampf gegen die Nazis nach Europa geschickt hatte. Als der Krieg vorbei war, entdeckte Allen in der Nähe von Berchtesgaden Hitlers Lagebesprechungen. Es war ein Fund, der Geschichte machte.
Von Martin Dahms[1]
Technician Third Grade George Allen stand am Rand der Grube und war enttäuscht. Er hatte die Nacht zuvor vor Aufregung kaum schlafen können. Den Morgen musste er mit Routinearbeiten in seinem Büro vertun, während draußen die Stenografen auf ihn warteten. Dann hatte er endlich in den Jeep springen können, der ihn nach Hintersee bringen sollte, begleitet von Kurt Peschel, Gerhard Herrgesell und Heinz Buchholz, dreien der Männer, die in den vergangenen Jahren fast jedes dienstlich gesprochene Wort Hitlers mitgeschrieben hatten.
Allen trieb während der 15 Kilometer langen Fahrt von Berchtesgaden hinauf nach Hintersee nur eine Frage um: ob er dort „die Überreste des zentralen Nervensystems des erschlagenen Nazi-Drachens“ finden würde. Sein Fahrer, Sergeant Bill Reed, fuhr, wie immer, wie ein reckless, speeding maniac. Endlich stand Allen am Ziel: am Rand einer kurz zuvor ausgehobenen Grube von sechs Metern Durchmesser. Sie war von Ufer zu Ufer angefüllt mit schwarzem, flockigem, verkohltem Papier. „Ein trübseliger, trostloser Anblick“, fand Allen. Nichts war den Flammen entgangen, so sah es aus. Es gab keinen Grund, noch länger zu bleiben. Da hörte er Herrgesell und Peschel sagen, wie „paradox und ungewöhnlich“ es sei, dass es hier nun schon seit fast zwei Wochen nicht mehr geregnet habe. Allen drehte sich noch einmal zum See aus Asche um und sprang hinein.
Es war der Vormittag des 9. Mai 1945, einen Tag nach Inkrafttreten der deutschen Kapitulationserklärung. In Europa war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Allen war einer der US-amerikanischen Besatzer in Berchtesgaden. Am Vormittag des 7. Mai hatte ein Militärpolizist in seinem Büro im zweiten Stock des Hotels Bellevue angeklopft und ihm zwei Männer angekündigt, die „Informationen von Interesse“ haben könnten. Allen war skeptisch. Seit Ende Januar, als seine Einheit noch im Elsass lag, arbeitete er für das Counter Intelligence Corps (CIC), die Spionageabwehr der US-Armee. Er hatte den Job mit Begeisterung angenommen, schreibt Allen in seinen Kriegserinnerungen[2], „weil ich dachte, dass es aufregend wäre.“ Es war aber nicht aufregend. „Der größte Teil unserer Arbeit bestand darin, Behauptungen nachzugehen, die sich gewöhnlich als falsch herausstellten.“ Sein bemerkenswertester Einsatz hatte ihm im April auf die Burg Berlichingen geführt, wo er eine der Bewohnerinnen davon überzeugen musste, dass sie die Unordnung, die einquartierte US-amerikanischen Soldaten hinterlassen hatten, keinesfalls als „Schweinerei“ bezeichnen dürfe, wenn sie nicht aus ihrem Haus geworfen werden wollte.